Thrill
Das Taxi verlangsamte seine Fahrt in der engen Schlucht der Altstadtgasse und kam im Laternenschein auf dem regennassen Kopfsteinpflaster zum Stehen. Tom zahlte und kniff der kichernden jungen Frau beim Aussteigen in den makellosen Po.
„Hey du, na warte ab“, lachte sie und lupfte für einen kleinen Moment ihr kurzes Sommerkleidchen, bevor sie begann, die Haustür aufzuschließen. Tom holte die Schöne im Hauseingang ein und nahm zärtlich ihre Schultern in seine Hände. Sie drehte sich in seinen Arm und küsste ihn lustvoll, als die Haustür aufsprang und das Paar in den Flur strauchelte. Ihre heftigen Küsse wechselten in ausgelassenes Gelächter. Sie bückte sich, um ihre unbequemen Stilettos in die Hand zu nehmen und die Linoleumtreppe hinaufzulaufen zu ihrer Wohnung im ersten Stock.
Der winzige Augenblick der Verwunderung über das hakelnde Schloss der Wohnungstür verflog mit seinen Worten: „Du bist so dermaßen heiß, Ann Smilla Petersen.“ Sie lachte ihn umwerfend sexy an, schob die Tür auf und huschte in die dunkle Wohnung. „Geh schon mal rein und fühl dich wie zu Hause. Ich verschwinde nur mal kurz im Bad. Nächste reeechts“, hörte Tom noch, bevor sie hinter der ersten Tür auf der linken Seite verschwand. Tom konnte sein Glück kaum fassen. Als er vor zwei Stunden allein in den Club gegangen war, hätte er keinen Cent darauf verwettet, dass er heute noch mit so einer Traumfrau in ihre Wohnung fahren und darüber hinaus noch zum Stich kommen würde.
Er trat in den langen dunklen Flur ein und folgte dem Lichtschein, der ihn zum nächsten Zimmer lockte. Durch den Türrahmen erspähte er den Wohnbereich mit offener Küche und einer indirekt hinterleuchteten gemütlichen Sitzgruppe. Tom schob den Kopf nach vorne, um sich besser umschauen zu können und spürte einen stechenden Blitz hinter den Augen.
Smilla schmiss sich ein paar Hände kaltes Wasser ins Gesicht, kam vom Waschbecken hoch und sah sich zufrieden ihr Spiegelbild an. Sie mochte ihre vollen Lippen und die grünen Augen, die geheimnisvoll hinter dem blonden Fransenpony leuchteten. Minutenlang verharrte sie, bis ihr sanftes Lächeln zu einer harten Maske geworden war. Dann ging es schnell. Das Sommerkleid glitt an ihr herab und landete per Fußtritt in der Wäscheecke. Ihre lange Mähne verwandelte sich in Windeseile in einen aufgedrehten Zopf. Dann flogen auch Slip und BH dem Kleid nach, sie wollte sich doch an dem Arschloch nicht die Klamotten ruinieren. Außerdem würde Tom wohl nicht so schnell Verdacht schöpfen, wenn sie nackt aus dem Bad käme, anstatt im Papieroverall mit Kapuze und Latexhandschuhen.
In Gedanken ging sie durch, ob alles an seinem Platz war. Äther, Stofflappen, Kabelbinder, Geflügelschere, Zigarrenschneider, Gummischlauch, Knebel, Panzerklebeband und natürlich der Elektrotaser, falls der Trottel völlig ausrasten würde. Sie hatte alles perfekt platziert. Dann öffnete sie den Alibert und nahm ihr Lieblingsspielzeug heraus. Das kleine klappbare Rasiermesser aus gefaltetem Damaszenerstahl blitzte unter der Spiegelschrankbeleuchtung auf. Sie klappte es zusammen und klebte es sorgsam mit einem Streifen Sporttape in ihre rechte Kniekehle. Erregt dachte sie an Toms Blut auf ihrer nackten Haut, wenn sie ihn aus der seinen schälen würde.
Seit sie dieser abgründigen Lust zu morden nachgab, war sie ein anderer Mensch. Unfähig, dem unbändigen Trieb zu widerstehen. Nach einem letzten Blick in den Spiegel und einem halben Dutzend kräftiger Atemzüge öffnete sie die Badezimmertür und dachte: „Ann Smilla Petersen, du mieses kleines Stück…lass uns Spaß haben.“ Ihr Nebennierenmark feuerte glühende Adrenalinsalven in den schweißglänzenden Luxuskörper der Psychokillerin.
Sie schlich in den dunklen Flur. Auf ihren nackten Füßen glitt sie kurz vor Erreichen des Wohnzimmers bei jedem Schritt auf irgendetwas Breiigem seitlich weg.
„Tom?“, rief sie vorsichtig, während ihre Augen versuchten zu erkennen, was ihr auf den dunklen Bodenfliesen das Laufen so erschwerte. Je näher sie dem Wohnzimmer kam, desto glitschiger wurde es, zumal sich der Brei zwischen den Zehen hochdrückte. Was hatte der Dummkopf hier verschüttet? Es fühlte sich ein wenig an, wie ein Joghurt mit Nusssplittern, was da unter ihren Füßen klebte. Aber dafür war die Masse deutlich zu warm. Der Joghurt stand bei sieben Grad im Kühlschrank.
Im Lichtschein des Wohnzimmers erkannte sie die handbreite rotschwärzliche Spur, die sich vom Türrahmen in den Raum zog. Als Smilla verstand, was hier passiert war, war es zu spät für eine geistesgegenwärtige Reaktion. Die Spur endete unter Toms Kopf, der am Boden lag und in dem hinten ein großes Loch klaffte. Die Knochen- und Hirnmasse, die dort fehlte, verteilte sich etwa zu gleichen Teilen im Flur, unter ihren Füßen und in der Schleifspur. Jemand hatte den toten Körper ins Wohnzimmer gezogen. Smilla presste sich die Hand vor den Mund und ließ ihren Blick über Toms Körper bis zu seinen Schuhen wandern. Dann sah sie ihn. Seelenruhig in der Ecke sitzend.
„Du bist es“, sagte Smilla leise. Sie versuchte mit den Händen ihre Nacktheit zu bedecken.
„Ja, … ich bin es.“
Der Killer roch an dem Glas Scotch, das er in seiner Handfläche zur perfekten Genusstemperatur anwärmte. Er sog gierig das Gemisch der Gerüche auf, welcher sich aus dem Schwenker in seiner Hand, Toms Gehirn auf dem Boden und Smillas Angst, die ihre Achselhöhlen ausdünsteten, zusammensetzte. Er sah sie an und entschied, dass es ihm noch nicht gut genug schmeckte.
Die Zunge glitt langsam über seine Lippen und er verspürte Lust auf eine Nuance mehr Panik.
Als Smilla den Lauf auf ihre Brust gerichtet sah und dazu den stehenden Rauch wahrnahm, den Toms schädelbrechendes Projektil in der Luft hinterlassen hatte, gesellte sich in ihrem Körper schlagartig ein Stoß Cortisol zu ihrem Schweiß. Der Killer bekam, was er wollte. Den Duft ihrer Todesangst.
„Warte, Warte“, flehte Smilla Petersen.
„Du hast genau einen Versuch, mich davon abzuhalten, dich auf der Stelle umzulegen“, zischte die Gestalt hinter der Kanone. Einige totenstille Sekunden vergingen, dann zerriss das klackende Spannen des Hahnes den Moment und kündigte Smillas Ableben an.
Sie setzte alles auf eine Karte.
… „Ich bin schwanger!…!…!“
Der Killer ließ sie keine Sekunde aus den Augen, er wusste, dass sie irgendwo eine Waffe an sich versteckt hatte und keine Sekunde zögern würde, diese auch einzusetzen.
„Einen Scheiß bist du. Wer ist die Pfeife?“ Er zeigte auf die Leiche zu seinen Füßen.
„Tom!“, antwortete sie. „Ich habe ihn im Metropolis abgeschleppt, wir wollten gerade ein bisschen Spaß haben, wie du siehst.“ Smilla blickte lasziv an ihrem nackten Körper herab, ohne sich zu bewegen. Sie musste sich etwas einfallen lassen, wenn sie die nächsten Minuten überleben wollte und ging ihre Optionen durch. Ihre einzige Chance war das Rasiermesser, das sich unter dem Schweiß, den sie absonderte, langsam aus ihrer Kniekehle ablöste.
In dem Moment schnellte die Gestalt aus dem Schaukelstuhl hoch. Smilla sprang ihm blitzschnell entgegen, direkt in den Arm, schlang ihre Beine um seine Hüfte und konnte ihn, zum einen auf den Schaukelstuhl zurückwerfen und zum anderen das Rasiermesser aus ihrer Kniekehle greifen. Die Arme und Hände der beiden Killer rangelten einige Augenblicke um die Oberhand, als Smilla den Schalldämpfer der Pistole an ihrer Schläfe spürte und zeitgleich das Rasiermesser in ihrer Hand an seiner Kehle lag. Beide verharrten in der Aktion und fanden sich Auge in Auge gegenüber, keiner in der Lage den anderen zu töten, ohne selbst dabei draufzugehen. Der Stuhl mit den Beiden darauf schaukelte langsam aus wie ein ablaufender Countdown. Die stickige Luft vibrierte förmlich, bis er endlich herauspresste: „Und jetzt?“ – „Du willst wissen, was jetzt passiert?“, flüsterte sie.
„Ganz genau, das will ich!“
Smilla spannte ihre Oberschenkel und drückte sich ganz langsam hoch, ohne die Klinge von seinem Hals zu nehmen. Mit der freien Hand griff sie unter sich und öffnete seine Hose. Geschickt griff sie hinein und ließ sich langsam auf ihn sinken. Er rollte überwältigt die Augen und warf seinen Kopf in den Nacken. Die Pistole sank mitsamt seiner Hand nach unten, als er schwer atmend sagte: „Du kleines schizophrenes Miststück.“ Wenige wilde Minuten später sprang Smilla lachend von seinem Schoß. „Lass uns die Sauerei wegräumen, Henry. Ich wohne hier.“
Das Telefonat am nächsten Vormittag: „Ja, was gibt’s, Chef?“ – „Am Rheinufer ist eine männliche Leiche abgelegt worden. Kopfschuss. Todeszeitpunkt wahrscheinlich gestern Abend. Der Fundort ist nicht der Tatort. Ich schicke Ihnen die Infos und den Fundort auf Ihr Handy. Ihr Fall, Frau Petersen. Klären Sie zur Abwechslung mal einen auf. Viel Erfolg!“ Der Polizeirat legte auf.
Ann Smilla schaltete ihr Handy auf Spiegelfunktion und zog sich den Lippenstift nach. Seit sie sich in Henry verliebt hatte und, anstatt den Serienmörder zu verhaften, selbst zu morden begann, wusste die Hauptkommissarin, dass sie krank und es nur eine Frage der Zeit war. Eine Frage der Zeit, bis die beiden enden würden, wie Bonnie und Clyde. Aber sie konnte ihm einfach nicht widerstehen. Dem unvorhersehbaren Spiel mit Henry, der sie jederzeit umlegen konnte. Diesem irrwitzigen Gefühlscocktail aus Macht, Leidenschaft und Todesangst.
Dem unfassbaren Thrill.
Schwere Kost! Ein bisschen verrückt, aber spannend und in sich schlüssig aufgebaut.
Das Ende stimmt versöhnlich – es scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis dieses Duo aufhören muss – weil enttarnt!
Vielen Dank Irene
Stimmt, die Zwei sind mehr als extrem. Aber es macht natürlich Spaß über Grenzen zu gehen beim Schreiben. Deshalb ist der Psychothriller wohl auch so beliebt. Ist ja gottlob nur Fantasie.